VON Reinhart Häcker, 30.09.01
Unter den 3,3 Millionen Muslimen, die in der Bundesrepublik leben, bilden die zum slam übergetretenen Deutschen mit etwa 50 000 bis 100 000 Anhängern eine kleine Minderheit. Ein Kölner erzählt, was ihn an seiner Religion fasziniert und wie sie sich auf seinen Alltag auswirkt.
Köln - Nun müht sich Ahmad Abdurrahman Reidegeld ganz augenscheinlich, ein untadeliges Leben zum Wohlgefallen Allahs zu führen, tagsüber am Schreibtisch eines Düsseldorfer Telekommunikations-Unternehmens und abends bei seiner Frau und den vier Kindern in Köln-Chorweiler. Zum Beispiel hat er, seit er sich zum Islam bekennt, während der vergangenen 18 Jahre höchstens zehn Mal das Freitagsgebet versäumt. „Eine ganz ordentliche Quote", bescheinigt er sich lachend, auch wenn ihm der Anflug von Selbstzufriedenheit ein bisschen unangenehm ist.
Er spricht es nicht aus, aber sein Stolz hat auch damit zu tun, dass er die Gebote des Korans nicht irgendwo im Orient zu erfüllen versucht, sondern in Deutschland, „in einer Gesellschaft, die praktisch keine Restriktionen und Tabus kennt." So positiv seine Bilanz ausfällt - was Ahmad Abdurrahman Reidegeld bislang fehlt, ist die Teilnahme an der „Hadsch", der jedem Muslim einmal im Leben verpflichtend aufgetragenen Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten in Mekka. „Eine reine Kostenfrage", sagt Reidegeld, „sonst wären wir natürlich längst dort gewesen."
Ahmad Abdurrahman Reidegeld mit seiner Familie
Wer den Trip zum heiligsten Wallfahrtsort des Islam auf sich nimmt, muss ihn, so schreiben es die Regeln vor, ausschließlich aus Ersparnissen bestreiten. Selbst ein Dispo-Kredit darf nicht in Anspruch genommen werden. Und weil es der Konvertit Ahmad Abdurrahman nunmal sehr genau nimmt mit den Bestimmungen seiner Religion, kommt eine von der Bank finanzierte Mekka-Reise für ihn nicht in Frage. Gleichwohl kann er nicht finden, dass der Islam ein besonders strenger Glauben sei, auch wenn er darauf immer wieder angesprochen wird. Er redet lieber von einer „konsequenten Religion", deren „geistiges Gebäude eine innere Logik" habe. Es falle ihm deshalb auch nicht schwer, die diversen Abstinenzgebote einzuhalten, zumal sie allesamt, angefangen beim vorgeschriebenen Verzicht auf Schweinefleisch, im Koran begründet würden. Gleiches gilt für den Vollbart.
Nach allem was er von seinem konservativen Elternhaus erzählt, hat Ahmad Abdurrahman, auch früher nicht sonderlich ausschweifend gelebt, als er noch Michael hieß und in Meerbusch bei Neuss das Gymnasium besuchte. Für seine Mutter und erst recht für seine Großmutter ist er bis heute „der Michael" geblieben, „und das ist auch in Ordnung so". In der Firma wird er von den muslimischen Kollegen hingegen mit dem arabischen Namen angeredet, den er sich 1983 mit 18 Jahren beim Übertritt zum Islam zugelegt hat. Und bei den Freunden ist es „halb und halb".
Der Islam hat auf den Ex-Katholiken Reidegeld vor allem eine „intellektuelle Faszination" ausgeübt. Und dann seien bestimmte Dinge passiert, „mystische Erlebnisse, die sich nicht so einfach beschreiben lassen". Sein Blick fällt auf die Wand im Wohnzimmer, an der im Bilderrahmen eine kunstvolle Stickerei mit Koranversen hängt. Es heißt, deutsche Konvertiten ziehe auch der Reiz des Fremden und Geheimnisvollen an. Bei ihm sei das nicht der Fall gewesen, meint Ahmad Abdurrahman Reidegeld, der Islamwissenschaft und Afrikanistik studierte. Nach knapp 20 Jahren auf den Pfaden Allahs behauptet er, der andere Glaube habe keine Brüche in seinem Leben verursacht. Er habe, außer vielleicht „ein bißchen in den Flegeljahren", nicht gegen die Eltern aufgemuckt. Heute will er allerdings nicht bestreiten, dass er sich gegenüber seiner Frau Yasmin, einer Libanesin, gelegentlich patriarchalisch verhält - und so die tonangebende Rolle übernimmt, die der Koran für den Mann vorsieht. „Wenn ich zu der Auffassung komme, dass ich etwas absolut nicht will, setze ich mich durch", sagt Ahmad Abdurrahman Reidegeld. Auch in diesem Augenblick widerspricht ihm seine Frau Yasmin nicht, sondern trägt lächelnd das Geschirr vom Abendessen in die Küche.
Kennengelernt haben die beiden sich in der Heimat seiner Frau - auf Vermittlung eines ebenfalls aus dem Libanon stammenden Kommilitonen. Zuvor waren eine ganze Reihe von Versuchen gescheitert, Kontakte in einem der hiesigen Moschee-Vereine anzubahnen. „Die haben mich als deutschen Glaubensbruder nicht akzeptiert." Seine Vorstellungen, wie eine Frau für ihn auszusehen habe, waren klar, vor allem sollte sie sich strikt an die „Kleidungs- und Bedeckungsvorschriften" halten.
Sind deutsche Muslime, wie gelegentlich zu hören ist, Allah besonders ergebene Schüler des Koran? Versuchen sie, was Konvertiten quer durch die Religionen nachgesagt wird, in ihrem religiösen Eifer die „Ur-Anhänger" zu übertreffen? Ein Teil von ihnen praktiziere den neuen Glauben „hundertfünfzigprozentig", besonders konsequent und engagiert, meint Ahmad Abdurrahman Reidegeld. „Viele picken sich aber auch nur heraus was ihnen behagt, so wie man sich seinen Lieblings-Yoghurt mischt."
Längst hat Ahmad Abdurrahman Reidegeld es sich abgewöhnt, sich für bestimmte Verhaltensweisen zu rechtfertigen. Im Büro achtet mittlerweile niemand mehr darauf, wenn er in einem der Aufenthaltsräume betet. „In Deutschland fällt man ja gerade dadurch auf", sinniert er, während Muhammad Mansur und Hamza, die beiden Jüngsten, sich Papas Gute-Nacht-Kuss abholen, „dass man sich bestimmte Einschränkungen auferlegt." Das sei ihm besonders bewusst geworden, als er aus dem Sultanat Oman zurückkehrte, wo er ein Jahr lang in einer Bibliothek wissenschaftlich-logistische Aufbauarbeit geleistet hatte. „Das ist dort eine geschlossene, traditionelle Gesellschaft mit tausend Reglementierungen. Da hat man nur die Wahl, sich einzureihen oder unangenehm aufzufallen."
Fünfmal am Tag, das erste Mal schon vor Sonnenaufgang, wendet sich Ahmad Abdurrahman Reidegeld zum Gebet gen Mekka. Abgrundtief schämen würde er sich, sagt er, wenn er aus Bequemlichkeit eine der Gebetszeiten „einfach vernachlässigen" würde. Einen „technisch gut gemachten Film" würde er sich anschauen, aber der letzte Kinobesuch liegt lange zurück. „Außerhalb jeder Diskussion" ist für ihn in einem öffentlichen Bad schwimmen zugehen, schließlich verlangt der Koran, dass auch der männliche Körper vom Nabel bis zu den Knien bedeckt zu sein hat. Dass er, weil es seine Religion so verlangt, beim Essen die Gabel in die rechte Hand nimmt (die linke gilt im Koran prinzipiell als unrein), ist für ihn selbstverständlich.
Muss einer wie er in Deutschland nicht zwangsläufig zum Außenseiter werden? „Natürlich entsprechen meine Auffassungen nicht dem Mainstream", meint Reidegeld, „aber wir sind eine Subkultur, und diese Gesellschaft ist ja gottlob nicht uniform."
Seit 20 Jahren müsse er, sagt er dann, für alles hinhalten, was mit seiner Religion in Verbindung gebracht wird. Früher war es Khomeini und heute für „diese Wahnsinnigen", die Flugzeuge in Bomben verwandelten. Seine Glaubensbrüder, meint er beim letzten Schluck Kaffee, könne man sich nicht aussuchen. „Das ist wie mit den Blutsverwandten"
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